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- 1. Dezember 2009
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Hirnforschung bestätigt Methoden der Waldorfpädagogik
Von NNA-Korrespondentin Edith Willer-KurtzSTUTTGART (NNA). Mit einem bildungspolitischen Kongress zum Thema „90 Jahre Zukunft – wie bleibt die Waldorfpädagogik zeitgemäß?” beging die Waldorfschulbewegung in Stuttgart den 90.Geburtstag der Waldorfschule Uhlandshöhe – die inzwischen erste von fast 1000 Waldorfschulen weltweit.
Rund 600 Gäste hatten sich im Festsaal der Uhlandshöhe eingefunden, eingeladen hatten Bund der Freien Waldorfschulen, die Landesarbeitsgemeinschaft der Waldorfschulen Baden-Württemberg und die Waldorfschule Uhlandshöhe.
Vorträge, Foren und Diskussionen waren darauf ausgerichtet „mit der Öffentlichkeit in Dialog zu kommen und das pädagogische Profil der Schulen entsprechend den Erfordernissen der Gegenwart weiterzuentwickeln”, betonte Walter Riethmüller, Mitglied des Vorstandes des Bundes der Freien Waldorfschulen, in seiner Begrüßung. Dementsprechend gehörten zu den Referenten und Podiumsteilnehmern auch Bildungsexperten, die nicht zur Waldorfbewegung gehören oder ihr kritisch gegenüberstehen.
Im Zentrum der Veranstaltung stand ein Vortrag des Neurobiologen Prof. Joachim Bauer (Universität Freiburg) mit dem Thema „Motivation durch Beziehung – Erziehung durch Spiegelung” .Er klärte auf über Lehren und Lernen aus der Sicht der Hirnforschung und brachte für die Anwesenden eine echte Überraschung: Was in der Waldorfpädagogik seit 90 Jahren gängige Praxis ist, erfährt nun seine Bestätigung durch die neuesten Ergebnisse der Hirnforschung.
Prof. Bauer belegte anhand von verschiedenen Studien, wie die Motivation des Lernenden entscheidend durch Beziehungen beeinflusst wird und erläuterte die zugrunde liegenden biochemischen Prozesse im Gehirn.
Botenstoffe, die körpereigen hergestellt werden bei entsprechender Aktivierung, lösen danach Reaktionen aus, die zum Lernen anregen. Diese Aktivierung ist – wie Prof. Bauer an entsprechenden thermischen Aufnahmen des Gehirns zeigte – an die Qualität der Beziehung gekoppelt, die wir mit unserem jeweiligen Gegenüber haben. Wir sind besonders dort motiviert, wo wir für bzw. mit solchen Menschen etwas tun können, mit denen wir uns zwischenmenschlich verbunden fühlen. Neurobiologisch also sind Menschen in ihren zentralen Motivationen auf soziale Akzeptanz hin orientiert, gab Bauer zu verstehen.
Das Gegenbeispiel dazu ist nach Prof. Bauer soziale Ausgrenzung und Demütigung. Sie führten nicht nur zu einer Lähmung der Motivation, sondern lösen neuesten Forschungsergebnissen zufolge im Gehirn ähnliche Wahrnehmungen wie absichtsvoll zugefügter körperlicher Schmerz aus – was einer der Hauptauslöser von Aggression ist. Das Gehirn mache da keinen Unterschied, betonte Bauer.
Zu lernen sei an dieser Stelle: Überall dort, wo Lehrer aggressivem Verhalten von Schülern entgegentreten müssten, sollten sie dies zwar mit Entschiedenheit tun, allerdings die Betroffenen nicht demütigen, sondern etwas gegen ihre soziale Ausgrenzung oder Bindungslosigkeit tun. Bewegungen, Rhythmen und Musizieren nannte Prof. Bauer als wichtige Komponenten und bestätige damit neben dem Beziehungsaspekt auch das ganzheitliche Lernen als positiv im Licht der Hirnforschung.
Für die Gestaltung der Beziehung zwischen Pädagogen und Kind bzw. Jugendlichen ergaben sich aus dem Vortrag eine ganze Reihe interessanter Schlussfolgerungen. Als wünschenswert bezeichnete Prof. Bauer eine Balance zwischen verstehender Zuwendung und Führung.
Kinder und Jugendliche wollten spüren, dass sie von Lehrern/Lehrerinnen verstanden und persönlich gesehen würden, erklärte Prof. Bauer. Sie
wünschen: „Lass mich spüren, dass es mich gibt, zeige mir wer ich bin, beschreibe meine starken und schwachen Seiten. Lobe mich, aber kritisiere mich auch und zeige mir welche meine Potentiale sind, das was Du mir zutraust”.
Pädagogen, die selbstbewusst auftreten mit der Bereitschaft, als Mensch erkennbar zu sein, hinterlassen im Spiegelsystem des Jugendlichen nach den Worten Bauers ein Skript, durch das Kinder und Jugendliche „am Modell” lernen können. Notwendig seien außerdem Einfühlung und Empathie. Erst durch die Frage: Wie sieht die Welt aus den Augen des Kindes bzw. Jugendlichen aus? ergebe sich eine „Beziehungs-Verbindung”.
Beim Prozess der wechselseitigen Wahrnehmung von Lehrendem und Lernendem spielen – so der Vortrag weiter – die sog. Spiegelneuronen eine entscheidende Rolle. Diese Nervenzellen im Gehirn verhalten sich ähnlich wie die Saite einer Gitarre, die auch in Schwingung gerät, wenn eine auf den gleichen Ton gestimmte andere Saite angezupft wird. Wenn wir ein Gefühl wie Freude, Trauer oder Schmerz bei einem anderen Menschen erleben, werden dieselben Gefühle auch in uns geweckt ohne dass uns dies bewusst ist. So erklärt sich neurobiologisch, warum gute Laune, aber auch Apathie ansteckend sein können.
In diesem Zusammenhang erwähnte Prof. Bauer auch die Bedeutung von Gesprächen zwischen den Pädagogen über Kinder ohne deren Anwesenheit, durch die sich die Situation eines Kindes verbessern könne einfach nur dadurch, dass das veränderte Verhalten des Lehrers eine andere Resonanzwirkung beim Kind hervorrufe. So werden die von Kritikern oft als „typisch esoterisch” bezeichneten Kinderbesprechungen in der Waldorfpädagogik ebenfalls durch die Hirnforschung untermauert.
In den Diskussionen auf dem Kongress kamen sowohl die Errungenschaften der Waldorfpädagogik zur Sprache als auch von außen als eher negativ wahrgenommene Aspekte. Als positiv genannt wurden die Ausrichtung des Lehrplans an den altersspezifischen Bedürfnissen der Kinder, Verzicht auf Sitzenbleiben, Fremdsprachen von der ersten Klasse an und der ganzheitliche Ansatz. Zum Vorbild für das staatliche Schulwesen könne außerdem die Leistungsbewertung werden, die nicht durch Noten, sondern durch eine Beschreibung von Entwicklungspotenzialen des Kindes erfolge, wurde in einer Diskussion betont. Als negativ wurde eine gewisse Beharrlichkeit gegenüber Notwendigkeiten der Veränderung genannt, beispielsweise bei modernen Formen des Lernens.
Christof Wiechert, der Leiter der Pädagogischen Sektion am Goetheanum in Dornach verteidigte in der Abschlussdiskussion die spirituelle Fundierung der Waldorfpädagogik. Aus diesem Hintergrund könne der Pädagoge seine Kräfte schöpfen, damit er im Gespräch mit den Schülern das zustande bringe, was Bildung ausmacht.
Es komme darauf an, an dem anzuschließen, was die Schüler wissen. Der Pädagoge müsse vielfältige Möglichkeiten nutzen, sein mitgebrachtes Wissen so zu kommunizieren, dass die Schüler regelrecht „hungrig” darauf würden, das Wissen des Lehrers aufzunehmen. In wieweit dies gelinge, sei jedoch immer auch abhängig von denjenigen Menschen, die es tun.
Immer wieder hervorgehoben wurde an diesem Tag das Beispiel der Mannheimer Interkulturellen Waldorfschule, einer Schule in einem sozialen Brennpunkt mit einem Anteil von Migrantenkindern von rund 50 Prozent. Um diesem – von allen Beteiligten als zeitgemäß eingestuften – Modell einer Waldorfschule jedoch zu weiterer Verbreitung zu verhelfen, seien höhere Landeszuschüsse notwendig.
Wissen, Anregungen, Gedankenaustausch, Kontroverses und Heiteres – all dies waren Geburtstagsgaben, mit denen die Gäste, des Kongresses, unter ihnen viele Lehrer, beschenkt wurden. Man darf gespannt sein, welche Kulturimpulse sich daraus entwickeln bis zum Jahr 2019 – dem 100jährigen Jubiläum der Waldorfschule.
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