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- 11. Juni 2007
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Gewalt an Schulen ist eine pädagogische Herausforderung
- Ein Ansatz der Waldorfpädagogik ist es, Gewalt in der Schule keinen Raum zu geben. Die Erziehung soll bei Kindern und Jugendlichen echte „innere“ Sozialkompetenz entstehen lassen, die es ihnen ermöglicht, mit Problemen gewaltfrei umgehen zu lernen. Mit großer Sorgfalt setzt sich daher der Bund der Freien Waldorfschulen mit den Ergebnissen einer Untersuchung zum Thema „Gewalt an Schulen“ auseinander. Für die jüngst veröffentlichte Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachen unter Leitung von Professor Dr. Christian Pfeiffer wurden in zehn repräsentativen Regionen Deutschlands annähernd 20.000 Schüler der Klassenstufen 4 und 9 befragt. Die Ergebnisse wurden differenziert nach staatlicher Grundschule, Haupt-, Real- und Gesamtschule sowie Gymnasium und Waldorfschule dargestellt. So beantworteten auch 520 Waldorfschüler die Fragen danach, ob an ihrer Schule Eigentum zerstört und ob sie dort gehänselt, getreten oder erpresst wurden bzw. werden.
Erwartungsgemäß liegen die Zahlen der Waldorfschüler in der 9. Klasse hinsichtlich der Täterstatistik zum Teil weit unter denen bei fast allen anderen Schultypen: Sie wurden weniger häufig von Mitschülern erpresst und gehänselt. Auch der Anteil der Schüler, die schon einmal durch Gewalttaten wie Körperverletzung, Raub, Erpressung oder Bedrohung mit Waffen auffällig wurden, liegt weit unter dem Durchschnitt. Nach der Einschätzung des sozialen Klimas befragt, zeigte sich, dass nur wenige Waldorfschüler von einem Gewalt geprägten Schul- bzw. Klassenklima berichten, und dass nur wenige den Eindruck haben, die Lehrer hätten kein Interesse für die Schüler bzw. sie griffen bei Gewalt nicht ein. Fazit: Jugendliche Waldorfschüler der neunten Klassen fallen im Vergleich zu gleichaltrigen Schülern anderer Schulen deutlich weniger durch aggressives Verhalten auf. Prof. Pfeiffer führt dieses erfreuliche Ergebnis nicht zuletzt auch auf die Medienerziehung im Elternhaus zurück: „Die Schüler bringen dadurch eine Stabilität mit, die eine wesentliche Voraussetzung für das Lernen darstellt. Sie stehen damit im Vergleich zu allen anderen Schularten besser da.“
- Diese Einzelergebnisse sollen jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass Waldorfschulen – wie alle anderen Schulen auch – täglich mit aggressivem Verhalten konfrontiert sind. Waldorfschüler sind nicht Natur gegeben friedlicher; jedoch fördern der Lehrplan und die besondere Unterrichtsmethode auch die schwierigen Entwicklungsschritte. Die im Zusammenhang mit der Pubertät entstehende Energien werden nicht unterdrückt und restriktiv durch Strafen geahndet, um vordergründige Erziehungserfolge vorweisen zu können. Vielmehr werden sie so begleitet, dass sich ein bewusster Umgang mit den eigenen, manchmal auch widersprüchlichen Energien entwickeln kann. Nach dem menschenkundlichen Ansatz befinden sich vor allem vorpubertäre Kinder im Alter von etwa zehn Jahren, die vorwiegend in der 4. Klasse sind, in einer Phase der zunehmenden Individualisierung: Sie beginnen, sich selbst reflektierend wahrzunehmen, neue Gruppierungen entstehen.
Wie die Ergebnisse der Studie auch zeigen, werden Waldorfschüler der 4. Klasse zum Teil überdurchschnittlich häufig Opfer schultypischer Gewalttaten. Eine solche Erkenntnis ist für den Bund der Freien Waldorfschulen selbstverständlich Anlass, sich intensiv mit der Frage auseinander zu setzen, wie gerade die Herausforderungen dieser Phase noch besser durch die Lehrpläne bewältigt werden können.
Im Unterschied zu staatlichen Grundschulen, stehen Waldorfschüler in der 4. Klasse bekanntlich nicht unter dem äußeren Druck der frühen Selektion für die künftige Schulkarriere. Entsprechend haben sie mehr Freiräume – und die scheinen sie auch auszuleben. Für die Waldorfschulen darf das natürlich nicht heißen, dass sie Gewalt als notwendigen Entwicklungsschritt in dieser Phase zu tolerieren haben. Im Gegenteil: Je konkreter man die besondere Situation dieser Altersstufe kennt, desto zielgerichteter kann im waldorfpädagogischen Sinne methodisch damit umgegangen werden. Nicht übersehen werden sollte, dass Waldorfkinder überproportional häufig aus Haushalten mit nur einem Elternteil (Alleinerziehende) oder aus so genannten Patchwork-Familien kommen; für sie spielt die Erfahrung der Geborgenheit in einer intakten Gruppe eine besonders große Rolle. Auch Professor Pfeiffer sieht darin einen nicht unbedeutenden Faktor: „Die Schüler bzw. ihre Eltern, die aus familiär schwierigen Situationen kommen, sollen in der Waldorfschule ein stabiles Umfeld finden als Ausgleich zur Unsicherheit in der Familie.“
- Bei der Interpretation der Untersuchungsergebnisse zum Thema Gewalt darf ein wichtiger Faktor nicht außer Acht gelassen werden: Durch die an Waldorfschulen intensiv entwickelte Sensibilität für Gewalt, dürften viele Kinder und Jugendliche ihre Erfahrungen etwas anders bewerten als Schüler vieler staatlichen Schulen. Diese These wird durch Ergebnisse der Studie gestützt, nach denen sich Waldorfschüler überdurchschnittlich häufig als Opfer von Gewalt, aber nur selten als Täter empfinden.
Der Bund der Freien Waldorfschulen begrüßt die Untersuchung und begreift sie als Herausforderung, um in Lehrplänen und Methoden pädagogisch angemessen und gesellschaftlich wirkungsvoll auf die zunehmenden Konflikte in den Schulen zu reagieren.
Herausgeber:
Bund der Freien Waldorfschulen
Thekla Walker
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