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- 29. Juni 2018
- Neuigkeiten, Termine aktuell
Liebe Schüler, Eltern und Freunde der Schule,
wir sind sehr gespannt ein fünftes Stück unter der Regie von Lou Simard („Die rote Zora“ / „Der Ball der Diebe“ / „Der gute Mensch von Sezuan“ und „Wir sind noch einmal davongekommen“) an unserer Schule zu erleben.
Das Stoff des Stückes „Das Experiment“ von Mario Giordano ist harte Kost. Die Altersempfehlung ab 14 deutet auch darauf hin, dass sich die 12. Klasse in diesem Jahr mit dieser Stückauswahl für ein schweres Thema entschieden hat.
Anbei ein Ausführliches Vorwort.
Die Aufführungen finden am Freitag und Samstag, den 29. und 30. Juni jeweils um 20 Uhr im Festsaal unserer Schule statt, zu denen Sie die 12. Klasse herzlich einlädt!
Der Eintritt ist frei. Eine Programmheft wird gegen eine kleine Gebühr angeboten.
Über Spenden am Ausgang zur Deckung der Kosten für das Klassenspiel freuen wir uns!
Ein Wort vorweg
Warum wählt eine 12. Klasse ein derart abgründiges Theaterstück über das
berühmt-berüchtigte Stanford-Experiment, das sadistische Machtausübung,
strukturelle Gewalt und die »Bestie Mensch« gnadenlos vorführt?
Als schockierend hoch hatte sich 1971 die Anpassungsbereitschaft der
freiwilligen Teilnehmer des realen Experiments an die nicht zuende gedachten
Vorgaben eines US-amerikanischen Wissenschaftlerteams erwiesen. »Das
Experiment« entglitt dem Chefforscher F. Zimbardo Schritt für Schritt und war
von Anfang an umstritten. Erst vor kurzem aufgetauchte historische
Tonbandmitschnitte beweisen nun offenbar, dass und wie der Forscher die
Versuchsteilnehmer – entgegen der von Zimbardo publizierten Darstellung –
allein kraft seiner Autorität manipuliert und zu inhumanem Verhalten
angestiftet hatte – nur um zu beweisen, dass der Mensch von Natur aus böse
sei…
Der Mensch ist böse? Wir Westler erfreuen uns doch eines meist friedlichen
Zusammenlebens in freiheitlichen und rechtstaatlichen Demokratien, die
historisches Ergebnis der vernunftbetonten europäischen Aufklärung des 18.
Jahrhunderts sind. Sapere aude – wage zu wissen! Es herrschen
Pressefreiheit, öffentliche Rede und Gegenrede, Gleichheit vor dem Gesetz,
Chancengleichheit. Das Gewaltmonopol liegt beim Staat, der Exekutive,
Legislative und Judikative fein säuberlich trennt und laizistisch ist. Checks and
balances. Die Verständigungsprozesse der gesellschaftlichen Akteure sind
geregelt, der stets anzustrebende Interessenausgleich spiegelt sich in
Kompromissen wider. Schwächere werden geschützt, Vernunft und Empathie
sind vorrangige Erziehungsziele. Das Recht auf Widerstand und
Demonstrationen gegen Ungerechtigkeiten jeder Art besteht und ist normaler
gesellschaftlicher Alltag.
Doch die Unterhaltungs- und die Nachrichtenindustrie zeichnen allabendlich
ein entgegengesetztes Bild. In Krimi und Kriegsfilm, auf YouTube, bei Google
und Facebook und in der Tagesschau müssen wir einem nicht enden
wollenden Trommelfeuer der real existierenden Bestie Mensch standhalten.
News, Fake News und Entertainment führen schamlos Mord, Totschlag, den
Einsatz von militärischer, physischer Gewalt und ökonomischer Macht und die
Drohungen damit vor Augen. Der narzisstische Führungsanspruch
fragwürdiger Gestalten, deren ungehemmte Gewaltbereitschaft und die blinde
Gefolgschaft Vieler stehen wie selbstverständlich auf der Tagesordnung.
Die Behavioristen um B. F. Skinner und besagten Zimbardo, die das
menschliche Verhalten seit den späten 1950er Jahrend in Harvard, Stanford
und andernorts erforschten, vertraten eine ernüchternde These: Vor allem die
situativen Umstände sind es, die jeden gewöhnlich veranlagten Menschen
zum gewalttätigen Akteur werden lassen können. Gelegenheit mache also
den Sadisten.
Hannah Arendt hatte im Angesicht des Jerusalemer Eichmann-Prozesses den
prägnanten Begriff der »Banalität des Bösen« geprägt, denn der schmächtige
SS-Mann Otto Adolf Eichmann sah und verteidigte sich 1961 als
gewissenhafter, staatstreuer und regelkonform handelnder,
befehlsempfangender Beamter des Deutschen Reichs – wohingegen er und
viele andere in Wahrheit als charakterlose Exekutoren und Organisatoren des
millionenfachen Mordes im Holocaust agierten.
Sozialpsychologe Erich Fromm (»Anatomie der menschlichen Destruktivität«)
betonte dagegen in den 1970er Jahren den guten Charakter des Menschen
und analysierte seine »Fähigkeit zum Guten und zum Bösen«:
Eben nicht sei die bloße Situation eines Menschen ausschlaggebend, wie die
Behavioristen behaupteten, sondern in viel stärkerem Maß sein Charakter.
Hoffnung bestand für Fromm darin, dass das Gute im Menschen, dessen
wahre Veranlagung, gefordert und gefördert werden könne.
Mit Auswahl und Inszenierung des vorliegenden Stückes aus dem Jahre 2001
verbindet sich in diesem Sinne die Hoffnung, dass sich auf der Bühne
komplexe individual- und gesellschaftspsychologische Zusammenhänge en
detail nachempfindbar und anschaulich machen lassen.
Wenn in der Fiktion eines Schauspiels ersichtlich wird, wie dünn die Kruste
der Zivilisation bisweilen ist, wird vielleicht verständlich, wie sehr es im realen
Leben auf den Einzelnen, seinen Charakter und verantwortungsvolles
Handeln ankommt. Die Basis des gelingenden Zusammenlebens liegt im
menschlichen Charakter, in der erworbenen und internalisierten Bereitschaft
zur Selbstreflexion, im Respekt vorm Gegenüber, im Willen zur
Verständigung, im Mut zum Menschen.
Diese Erkenntnis geriete dann zum Gegengewicht gegen die oft scheinbar viel
naheliegendere Verzweiflung über das Bestehende und den Zustand der Welt
– zur Kraftquelle.
Lou Simard und Ingo Ahmels